Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleura |
Asbest ist ein Sammelbegriff für zwei Gruppen faserförmiger silikatischer Mineralien: die Serpentinasbeste und die Amphibolasbeste. Als Arbeitsstoff kommt meist der Chrysotil (Weißasbest), ein Magnesiumsilikat mit geringem Eisenanteil aus der Gruppe der Schichtsilikate vor. Auf Chrysotil als wichtigsten Serpentinasbest entfallen etwa 90 % aller in der Welt gewonnenen und industriell verarbeiteten Asbeste.
Die Gruppe der Amphibolasbeste hat einen Anteil von unter 10% am Asbestweltverbrauch. Hierzu gehören das Natriumeisensilikat Krokydolith, der sog. Blauasbest, ferner das Magnesiumeisensilikat Amosit, der sog. Braunasbest, sowie der Anthophyllit. In der Bundesrepublik Deutschland, das Importland für Asbest ist, werden bzw. wurden aus Rohasbest zahlreiche Produkte hergestellt. Beispielhaft aufgeführt seien die Asbestzementindustrie, die Reibbelagindustrie, die Gummi-Asbest(IT)-Industrie, die Asbestpapier-, -pappen-, -dichtungs- und -filterindustrie, die Asbesttextilindustrie und die Asbestkunststoffindustrie. Seit etwa 1980 ist der Verbrauch von Asbest deutlich zurückgegangen und wird in den nächsten Jahren voraussichtlich auslaufen.
Darüber hinaus werden
bzw. wurden in den verschiedensten Gewerbezweigen asbesthaltige Produkte
eingesetzt, z. B. bei bestimmten Tätigkeiten im Hoch- und Tiefbaugewerbe,
Kraftfahrzeuggewerbe, Isoliergewerbe, im Lüftungs-, Klima-, Heizungs-
sowie Fahrzeugbau.
Der retinierte Asbeststaub kann zu Reaktionen vorwiegend in Bronchioli und im alveolären Interstitium führen. Bevorzugt in den unteren bis mittleren Lungenpartien entsteht ein diffuser, alveolarseptal bindegewebsbildender Prozeß mit starker Schrumpfungsneigung, die Asbestose (Asbest-Lungenfibrose). Mikroskopisch sind Asbestkörperchen nachweisbar. Hierbei handelt es sich um keulenoder hantelförmige Gebilde, bestehend aus dem zentralen Achsenfaden, umgeben von mehr oder minder segmentierten eisen- und eiweißhaltigen Gelhüllen.
Eingeatmete und in das Zwischengewebe der Lunge vorgedrungene Asbestfasern besitzen aufgrund ihrer nadelförmigen Gestalt auch die Fähigkeit, bis in den Pleurabereich (Lungen- und Rippenfell) zu penetrieren.
Die Pleurotropie (Pleuradrift) kann sowohl zu einer Asbestfaseranhäufung im subpleuralen Bereich als auch zu einem Übertritt in den Pleuraspalt führen. Infolge der Pleuradrift entstehen oftmals diffus ausgedehnte oder umschriebene Bindegewebsneubildungen der Pleura, die der Asbestfibrose im Bereich der Lungen entsprechen. Sie stellen oft röntgenologische Zufallsbefunde dar. Die diffuse Bindegewebsneubildung bevorzugt meist doppelseitig die Pleura visceralis als diffuse Pleurafibrose des Lungenfells. Umschriebene, plaquesförrnige Veränderungen manifestieren sich meist doppelseitig besonders an der Pleura parietalis als bindegewebige (hyaline), später verkalkende Pleuraplaques des Rippenfells, Zwerchfells oder Herzbeutels. Auch rezidivierende, meist einseitige Pleuraergüsse gehören zum Bild der nicht bösartigen, durch Asbeststaub verursachten Erkrankungen der Pleura, die sich von der tumorerzeugenden Wirkung (vgl. "Durch Asbest verursachtes Mesotheliom des Rippenfells und des Bauchfells" Nr. 4105 BeKV) abgrenzeen lassen.
III. Krankheitsbild und Diagnose
Als erstes Zeichen einer Asbestose treten nach langsam progredientem Reizhusten Kurzatmigkeit, besonders bei Belastung und tiefer Inspiration, und Brustschmerzen auf. Später kommen nicht selten die Symptome einer chronischen Bronchitis (chron. unspez. respiratorisches Syndrom - CURS), emphysematöse Lungenveränderungen und Rechtsherzhypertrophie (Cor pulmonale) hinzu. Auch der auskultatorische und perkutorische Befund ist uncharakteristisch. Er kann selbst bei fortgeschrittener Asbestose geringfügig sein. Als Hinweis auf eine Lungenfibrose gilt feines Knisterrasseln, besonders am Ende des Inspiriums, über den seitlichen und unteren Lungenpartien. Im Auswurf können sich Asbestkörperchen finden.
Das Ergebnis der Röntgenfilmaufnahme ist für die Diagnose entscheidend*). Vornehmlich subpleural in den unteren zwei Dritteln der Lunge, mit meist zunehmender Intensität zu Basis und Hilus hin, finden sich kleine unregelmäßige (oder lineare) Schatten (ILO-Klassifikation: s-t-u). Sie können zunächst nebelschwadenförmig mit haarfeinen Randfiguren auftreten und sich später zu einer netzförmigen Zeichnungsvermehrung (ILO-Klassifikation: 1-2-3) bis zu diffusen fibrozystischen Veränderungen verdichten. Auch horizontal verlaufende Strichschatten (sog. KERLEY'sche "B"-Linien) nahe der lateralen Brustwand kommen vor. Mitunter erscheint die Fibrose entlang der Grenze des Herzschattens besonders ausgeprägt. In späteren Stadien können die Herzgrenzen und die Zwerchfellkuppen verwaschen erscheinen und die Oberfelder vermehrt strahlendurchlässig sein.
Als besondere, durch Asbeststaub verursachte, nicht bösartige Erkrankungen der Pleura sind bei geeigneter Röntgentechnik (Hartstrahl-Filmaufnahmen) anzusehen (vgl. auch Anlage "Hinweise zur Erstattung der ärztlichen Anzeige")
Die gesundheitliche Beeinträchtigung infolge der durch Asbeststaub verursachten Erkrankungen der Lunge und/oder Pleura hängt vor allem von der Einschränkung der Lungenfunktion ab. Diese tritt vorwiegend als restriktive Ventilations- und/oder Gasaustauschstörung auf. Durch Asbeststaub verursachte Erkrankungen der Lunge und/ oder Pleura kommen auch im Zusammenhang mit anderen Pneumokoniosen vor.
IV. Weitere Hinweise
Die Erhebung einer eingehenden Arbeitsanamnese ist erforderlich. Durch Asbeststaub verursachte Erkrankungen der Lunge und/oder Pleura treten im allgemeinen erst nach jahre- bis jahrzehntelanger Exposition gegenüber Asbeststaub auf. Eine Exposition - auch von wenigen Jahren - führt gelegentlich noch nach einer Latenz von Jahrzehnten zu einer Spätasbestose.
Röntgenologisch nachweisbare Veränderungen der Lungenasbestose können im Vergleich zu den bestehenden Funktionsstörungen der Atmung und des Kreislaufs relativ geringgradig sein. Eine überhäufige Assoziation von Asbestose und Lungentuberkulose ist bisher nicht erwiesen.
Bezüglich des Lungenkrebses in Verbindung mit Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleurä wird auf das Merkblatt zu BK Nr. 4104, bezüglich des durch Asbest verursachten Mesothelioms des Rippenfells und des Bauchfells auf das zu BK Nr. 4105 verwiesen.
V. Literatur
Hinweise zur Erstattung der ärztlichen Anzeige nach § 5 BeKV für die Berufskrankheit Nr. 4103 - Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleura - der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BeKV).
Diese Hinweise wurden zur Erleichterung der Überlegungen, wann ein Arzt bei einem Versicherten nach Asbestexposition von einem begründeten Verdacht des Vorliegens der u. a. Berufskrankheit ausgehen kann, unter Mitwirkung medizinischer Sachverständiger erarbeitet. Sie sollen auf der Grundlage des amtlichen Merkblattes für die ärztliche Untersuchung zu der genannten Berufskrankheit allen Ärzten praxisgerechte Hinweise geben.
Auszugehen ist dabei von dem Röntgenbefund nach der ILO-Klassifikation 1980, wobei die Anfertigung der Lungenaufnahme in optimaler Hartstrahltechnik Voraussetzung ist.
Der Verdacht des Vorliegens
einer Asbestose der Lungen ist 1. begründet bei
Röntgenbefund der Lungen nach ILO Klassifikation 1980 | Auskultations- bzw. Lungenfunktionsbefund | |
Dichte der Schatten | Form |
a) 1/0 | s, t bzw. u | Knisterrasseln und/oder VKI 90% von VKS (nach EGKS Mindestsollwert unter BTPS/Bedingung) |
b) 1/1 u. mehr | s, t bzw. u | auch wenn klinisch keine Auffälligkeiten und keine Einschränkung der VKI meßbar ist |
Röntgenbefund der Lungen nach ILO Klassifikation 1980 | Auskultations- bzw. Lungenfunktionsbefund | |
Dichte der Schatten | Form | |
0/1 | s, t bzw. u | Mit Knisterrasseln |
0/1 | s, t bzw. u | mit VKI unter 90% von VKS |
1/0 | s, t bzw. u | ohne Befund |
(jedoch Notwendigkeit einer vorgezogenen nachgehenden Untersuchung) |
a) Hyalinen Pleuraplaquesin der Regel ab ca. 3 mm Dicke röntgenologisch erkennbar und/oder einer Verbreitung von mehr als 2 cm Gesamtlänge im Bereich der Brustwand (insbesondere doppelseitig), des Zwerchfells, Mediastinums und/oder Herzbeutels.
b) Verkalkten Pleuraplaques
Bei Hinweisen auf Asbeststaubexposition(en) in der Vorgeschichte sollten auch Kalkplaques geringerer Dicke und Verbreitung angezeigt werden.
c) Hyalinosis complicata bzw. Pleuraerguß, Pleuritis mit Folgezuständen, ein- oder beidseitigFür die Differentialdiagnose in bezug auf die Asbeststaubgenese ist zu beachtend) doppelseitiger diffuser Pleuraverdickung in der Regel ab ca. 2-3 mm Dicke speziell im Bereich der Mittelunterfelder.
Dennoch können uns Fehler unterlaufen sein, wofür wir Sie um Verzeihung bitten. Verbindlich ist nur der im Bundesarbeitsblatt veröffentlichte Wortlaut. |